Kinder
Heute habe ich bei einem Kindergarten gearbeitet. Die offenen, begeisterten Augen, die einem dort entgegengebracht werden, gaben mir sofort ein freudiges Gefühl. Die Ausstrahlung der jungen, unverfälschten Menschen hatte etwas Heilsames.
Kinder “arbeiten” eben nicht. Sie gehen nicht “zur Arbeit”, auch nicht “zum Spielen”, sondern ihr ganzes Sein ist spontanes “Darauf habe ich jetzt Lust”, ohne falsche Rücksicht, ohne Pflichtgefühl, und wenn doch etwas zu erledigen ist, weil es die Regeln verlangen, so werden eben Kleidung, Geschirr oder Spielzeug aufgeräumt oder der Mittagsschlaf angetreten, aber ansonsten tut es der eigenen Freiheit keinen Abbruch.
Es wird mir keiner glauben, aber identisch läßt es sich auch als Erwachsener leben. Diese vage Sehnsucht nach der Unbeschwertheit und Glückseligkeit der Kindheit, die viele Leute verspüren, die muß das nicht bleiben! Schade, wer sich mit dieser zufriedengibt. Denn es ist doch nichts verloren und auch jetzt schon ist es immer noch möglich, die völlige Freiheit und Spontanität, den totalen Lebensausdruck zu feiern, und gleichzeitig eben gewisse äußere Regeln einzuhalten, wie Verkehrsregeln, Job, Termine, Zahlungen, Steuer usw. usf. Das ist alles von mir im Gros sowieso nicht zu ändern, manches ist sinnvoller, anderes vielleicht weniger, aber es ist nun mal fällig und kann erledigt wieder vergessen werden.
Ich bin jetzt wahrlich kein Bibelfreund, aber folgende Aussage trifft zu:
Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesus und fragten: Wer ist doch der Größte im Himmelreich?
Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.
Umkehren heißt eben genau: Zurückgehen, zum Ursprung, wo ich herkomme. Damit ist auch widerlegt, es wäre eine Entwicklung der Persönlichkeit vonnöten. Umkehr heißt: Kehrtwende weg von den falschen Augenmerken, was angeblich wichtig im Leben wäre, hin zur eigenen unverfälschten, kindlichen Natürlichkeit, die immer noch in dir schlummert und nur darauf wartet, wieder freigelassen zu werden. Es gibt da nichts Neues zu erreichen, es muß nichts draufgepackt werden, sondern eher abgespeckt, Ballast abgelassen werden. Damit ist doch nicht gesagt, die Fähigkeiten und Werte, die man als Erwachsener erschlossen hat, Kompetenzen, Know-How z. B. handwerklich, vielleicht auch eine gewisse Abgeklärtheit und Ruhe, würden dann auf dem Müll laden. Ganz im Gegenteil: Qualitäten kommen dann erst richtig zur Entfaltung, weil der akkumulierte Dreck, der über die Jahre angesammelt wurde und einen ja unglücklich macht, weil er alles erschwert, nun nicht mehr herunterzieht.
Beobachtet Kinder, lernt von ihnen. Sie beobachten euch nämlich sehr genau. Mich heute auf der Baustelle, aber auch z. B. beim Seiltanzen im Fitneßparcour meiner Stadt. Ich werde insgesamt fast nur von Kindern gesehen. Die Erwachsenen sind dagegen so sehr mit ihrem eigenen Problemnebel beschäftigt, daß sie gar nicht mehr wahrnehmen. Da sind Augen, aber keiner sieht, da sind Ohren, aber keiner hört. Jedoch nur davon auszugehen ist ein Irrtum, wie ich jetzt merke, denn da sind Augen, die sehen, da sind Ohren, die hören, und zwar bei Menschen, wenn auch sehr jungen, die das mitbringen und einen wenigen, die sich das noch etwas erhalten konnten. Vielleicht auch du?